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PROJEKT SPERLING Nr. 7 - 22. Februar 2007: DIE  SCHÖNHEIT  DER  EINFACHEN  DINGE (WABI  UND  SABI)

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Olor a mar

en la pared se herrumban

antiguos útiles

 

 

 

Meergeruch

an der Wand verrosten

alte Werkzeuge

 

 

 

 

María Victoria Porras Martínez

 

 

 

 

 

 

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Denn es ist ja etwas völlig Unbenanntes und auch wohl kaum Benennbares, das, in solchen Augenblicken, irgendeine Erscheinung meiner alltäglichen Umgebung mit einer überschwellenden Flut höheren Lebens wie ein Gefäß erfüllend, mir sich ankündet ...

Eine Gießkanne, eine auf dem Felde verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgend einem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen.  

 

Hugo von Hofmannsthal

 

 

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Anmerkungen

 

María Victoria Porras Martínez, genannt Mavi, wurde 1969 in Murcia (Spanien) geboren. Sie ist Grafikdesignerin, eine überaus begabte Malerin und Autorin. Im Jahr 2002 entdeckte sie das Haiku und schloss sich der spanischen Internet-Zeitschrift El Rincón del Haiku an. Ihre Arbeiten wurden für Seda cruda y madera sin tallar (Rohseide und unbehauenes Holz) ausgewählt, einen Bildband mit Fotografien von Paco Sánchez. Zusammen mit ihrem Mann Juan Francisco Pérez hat sie soeben den Haiku-Band A la intemperie (Bei Wind und Wetter) herausgegeben, erschienen im Verlag Haibooks. Ihr Haiku Meergeruch wurde zuerst bei El Rincón del Haiku  veröffentlicht (2. Halbjahr 2004). Ausgewählt und neu übersetzt von Luis Corrales Vasco und Hubertus Thum.       

 

Mit den schillernden Begriffen wabi und sabi umkreisen die Japaner das Geheimnis des Schönen. Der östliche Kunstfreund wird ihre  einengende Definition ablehnen und zur Erläuterung vielleicht das bekannte waka von Fujiwara no Sadaye (1162 - 1241) rezitieren oder eine alte, möglicherweise zerbrochene und wieder zusammengefügte Teeschale zeigen. Andrew Juniper, ein westlicher Kenner, sieht in wabi und sabi die intuitive Wahrnehmung und Wertschätzung vergänglicher Schönheit, die im Schlichten, Rauen, Groben, Alltäglichen, Unvollkommenen oder sogar Zerfallenden aufleuchtet. Während wabi eher ein sich selbst genügendes Leben bezeichnet, das frei ist von aller Verstrickung ins Materielle, wird sabi oft gebraucht, um die Eigenschaften physischer Objekte anzudeuten, die das Gefühl der Vergänglichkeit heraufbeschwören und deren Formen, Farben und äußere Erscheinung zunächst karg und unprätentiös sind. Dem geschulten Auge öffnet sich jedoch in der Maserung des Treibholzes oder der Patina antiker Bronzegefäße ein Blick in die Tiefe und Bedeutung der Welt, der sich mit den Mitteln der Sprache nicht erfassen lässt. Wenn auch das chinesische Schriftzeichen (kanji) für sabi ein anderes ist, wird seine ursprüngliche Bedeutung im Japanischen mit Rost angegeben. Meine Einschätzung ist, dass die als wabi und sabi beschriebenen Ausformungen ästhetischer Wahrnehmung nicht auf Japan begrenzt, sondern bewusst oder unbewusst überall bekannt sind. Mir sind zahlreiche Menschen begegnet, die von den japanischen Begriffen nie gehört hatten, die einfachen Dinge und das Leben aber in dieser Weise als Kunstwerke zu sehen vermochten.

 

Hugo von Hofmannsthal (1874 -1929). Das Zitat ist entnommen dem sogenannten Chandos-Brief. Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Band 31, herausgegeben von Ellen Ritter. Frankfurt am Main 1991, S. 50. Die Orthografie wurde beibehalten. 

 

 

 

 

PROJEKT SPERLING Nr. 7 - 22. Februar 2007: DIE  SCHÖNHEIT  DER  EINFACHEN  DINGE (WABI  UND  SABI)

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